Bundesverband für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik
ALTERNATIVE KONTROLLPOLITIK



„Kein Knast für Hasch“: Drei Modelle

(Henning Schmidt-Semisch)

Vieles scheint darauf hinzuweisen, dass Cannabis in absehbarer Zeit zu einem legalen Genussmittel werden könnte. Aber auch wenn die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die Aussagen und Forderungen vieler Polizeioffiziere, die Expansion des Marktes für Kiffer-Accessoires sowie schließlich die Beschlusslage der SPD durchaus optimistisch stimmen, so kolportieren gemeinhin gut informierte Kreise doch zugleich Nachrichten, die besagen, dass zumindest die derzeitige Regierung (und wenn nich diese, welche dann?) das „heiße Eisen“ einer umfassenden Entkriminalisierung im Cannabisbereich nicht anpacken mag. Dass bedeutet zugleich, dass in nächster Zeit nur mit ein „bisschen Entkriminalisierung“ gerechnet werden kann, was zugleich die Frage aufwirft, wie solche Modelle halbherziger Entkriminalisierung zu bewerten sind. Es sollen deshalb zunächst zwei Beispiele solcher Entkriminalisierungsmodelle kritisch referiert werden, um im Anschluss daran die Vorteile einer Cannabis-Legalisierung zu verdeutlichen.
1. Das holländische Modell der Coffeeshops
Die holländischen Coffeeshops gibt es seit nunmehr knapp 20 Jahren. Bei einem Umsatz zwischen schäztungsweise 360 Mio. und 1.Mrd. Gulden werden hier jährlich zwischen 30 und 90 Tonnen Cannabis verkauft, wobei Cannabisprodukte bis zu einer Menge von 5g (früher 30g) straflos abgegeben werden dürfen und der Besitz von Cannabis bis zu einer Menge von 30g in der Regel straflos bleibt. Zugleich allerdings reicht der holländische Strafrahmen bei Handlungen im Zusammenhang mit Cannabis offiziell bis zu vier Jahren Gefängnis. Freilich kommt es in der Praxis recht selten zu solchen Strafen, weil die Polizei durch amtliche Richtlinien dazu angehalten wurde, der Verfolgung von Cannabisdelikten (zumindest im Zusammenhang mit kleineren Mengen) die gringste Priorität einzuräumen, sie also entsprechend des sog. Opportunitätsprinzip nicht zu verfolgen .
Ähnliches gilt für die sog. Hausdealer in Jugendzentren, die unbehelligt bleiben, solange sie das Vertrauen des Vorstandes des Jgendzentrums besitzen und ausschließlich Cannabis in geringen Mengen an Stammgäste (nicht unter einem Alter von 18 Jahren) des Jugendzentrums verkaufen, ohne dies öffentlich bekanntzugeben oder sonstwie Aumerksamkeit zu erregen .
Zwar gilt als Erfolg dieser holländischen Politik, dass es zu keiner Zunahme der holländischen jugendlichen Cannabiskonsumenten gekommen ist, dass die Märkte der sog. harten und weichen Drogen getrennt werden konnten und schließlich, dass auf diese Weise eine nomalisierte, verfolgungsfreie Kaufgelegenheit für die Konsumenten geschaffen wurde. Allerdings besteht das große Problem der niederländischen Cannabis-Politik darin, dass zwar die „Vordertür“ (also die Seite der Nachfrager) der Coffeeshops weitgehend und pragmatisch reguliert und gelöst zu sein scheint, dass dies aber bis heute nicht für die „Hintertür“ (die Produzenten und Lieferanten, also die Anbieter) gilt. Nach wie vor werden immer wieder Cannabis-Händler und -Produzenten strafrechtlich verfolgt und bestraft sowie ihre Produkte beschlagnahmt, und das betrifft auch jene, die ihre Ware in Holland (sog. „Nedderweed“). produzieren. Umfassende Regelungen für die Angebotsseite werden von den holländischen Politikern immer wieder mit Verweis auf internationale Übereinkommen zurückgewiesen.
Bei aller Sypamthie für holländischen Pragmatismus, sollten uns diese Inkonsistenzen der niederländischen Politik daher nicht uneingeschränkt als Vorbild dienen – ganz abgesehen davon, daß sie mit den Grundsätzen, insbesondere dem Legalitätsprinzip des deutschen Rechtssystems gar nicht vereinbar wäre.
2. Das schleswig-holsteinische Apotheken-Modell
Ein etwas anderes, vielleicht auch deutscheres Modell der Vergabe von Cannabis stammt aus Schleswig-Holstein. 1994 sprach sich die dortige Sozialministerin, Heide Moser (SPD), für eine Entkriminalisierung von Cannabis aus. „Gestützt auf die Gesundheitsministerkonferenz der Länder (GMK) vom November 1994, die mit großer Mehrheit unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesverfassungsgericht vom März 1994 eine Neubewertung von weichen Dogen und die Prüfung von Modellversuchen zur Trennung der Märkte forderte (...) hatte sie zunächst das niederländische ‘Coffee-Shop’-Modell ins Gespräch gebracht“. Ein Jahr später forderte die GMK Schleswig-Holstein auf, Vorschläge für einen Modellversuch zu erarbeiten. Ermöglicht werden sollte ein solcher Modellversuch nach den Ausnahmeregelungen des §3 BtmG (also eine Genehmigung aufgrund wissenschaftlicher oder sonstiger – im öffentlichen Interesse liegender – Gründe). Die Abgabeorte sollten Apotheken sein.
Das daraufhin erarbeitete Modellprojekt, das bislang allerdings noch nicht implementiert wurde, war folgendermaßen konzipiert: Über einen Zeitraum von fünf Jahren sollten zunächst in drei Regionen Schleswig-Holsteins (Phase I) und dann landesweit (Phase II) Cannabisprodukte (Marihuana und Haschisch) in Apotheken verkauft werden. Insgesamt sollten bei einem einzelnen Einkauf vom jeweiligen Käufer max. 5g erworben werden dürfen. Jede Verpackungseinheit sollte 0,5g enthalten, auf der Verpackung der Wirkstoffgehalt abgedruckt sein und innliegend sich zudem eine „Raucherinformation“ befinden. Der sog. „Legalitätsschutz“ (also Sicherheit vor polizeilicher Beschlagnahme und Ermittlung) sollte sich – wiederum nur für die Teilnehmer am Modellprojekt – auf max. 5g originalverpacktes Cannabis innerhalb von Schleswig-Holstein beziehen. Jede sonstige Form von Cannabis sowie der Besitz, Erwerb oder Handel hinsichtlich dieser Substanzsollte – wie bisher – verboten bleiben. Zugleich sollte der Apothekenpreis grundsätzlich über dem Schwarzmarktpreis liegen, damit weder Dealer „legal einkaufen“ könnten noch sich ein Drogentourismus nach Schleswig-Holstein entwickel. Hierfür sollte eigens eine „Preisbildungskommission“ eingerichtet werden, die aus Polizei und Drogehilfe rekrutiert werden soll. Als Teilnehmer waren alle Personen ab 16 Jahre vorgesehen. Die Teilnehmer sollte eine Bezugskarte erhalten, die zwar eine Teilnahmenummer enthalten, aber keine Identifizierung ermöglichen sollte.
Als Begründung für die Legitimität der Durchführung des Modellversuchs wurde u.a. darauf verwiesen, dass das physische und psychische Risiko des Cannabiskonsums als gering einzuschätzen und die sog. Einstiegsthese unhaltbar sei, dass ausländische Erfahrungen zeigten, dass eine Entkriminalisierung keineswegs zu einem Ansteigen des Konsums führen müßten und sich durch die „Legalität“ erhöhte präventive Chancen (offenere, angstfreie Kommunikation, Attraktivitätsverlust etc.) ergeben könnten.
Wie gesagt, ist dieses Modell bislang nicht implementiert worden. Vielleicht zum Glück, denn eine Differenzierung in legales (Originalverpackung) und illegales Cannabis und damit legales und illegales Besitzen und letztlich auch Konsumieren wäre doch wohl nur auf Kosten piolitischer Glaubwürdigkeit durchzuhalten gewesen, zumal das legale Cannabis dann nicht einmal wirklich legal gewesen wäre, sondern seine Legalität spätestens an der schleswig-holsteinischen Landesgrenze eigebüßt hätte – wenn sie nich schon vorher durch ein fahrlässiges Entfernen der Originalverpackung hinfällig geworden wäre. Man fragt sich zudem, was die Teilnahmekarten sollen, wenn jeder sie bekommen kann und sie im Grunde keinen Aufschluss über die Person geben. Und nicht zuletzt würden die Begründungen für das Modellprojekt natürlich auch für eine umfassende Freigabe sprechen, zumal sie sich auch noch umfänglich auf ausländische Erfahrungen berufen.
Auch wenn die politische Situation solche Modellprojekte und ihre symbolischen und progressiven Aspekte möglicherweise erforderlich macht, so erscheinen sie doch in ihrer konkreten Ausarbeitung als Schildbürgereien – als ein aufgesetzter Kontroll- und Begleitforschungswasserkopf, an den die Kontrolleure und Forscher im Grunde selber nicht zu glauben scheinen.
3. Cannabis als Genussmittel
Mein eigener Vorschlag ist daher, Cannabis aus dem BtmG heraus zu nehmen und ins Lebensmittelrecht einzuordnen, es also – wie etwa Tabak und Alkohol – explizit als Genussmittel zu betrachten und damit zugleich das Recht auf den Genuss von Cannabis rechtlich zu implementieren. Um Inkonsistenzen, wie sie die beiden zuvor skizzierten Modelle aufweisen, zu vermeiden, muss dieses Recht auf Genuss freilich auch das Recht beinhalten, die Substanz legal herzustellen und zu handeln, was bedeutet, den Umgang mit Cannabis dem mit Alkohol und Tabak anzugleichen. Die Vorstellung einer solchen Angleichung mag bei dem einen oder der anderen zu Fragen oder auch Ängsten führen, denen ich im folgenden mit neun Antworten begegnen möchte, die sehr kurz das Szenario einer Überführung von Cannabis ins Lebensmittelrecht umreißen:
(1) Man kann die Orte des Drogenverkaufs auf bestimmte Örtlichkeiten einzuschränken (z.B. Drug-Stores, Drogenkneipen).
(2) Es ist möglich, über Lizenzen die Kompetenzen und die Anzahl der Drogenhändler zu bestimmen und zu überprüfen.
(3) Unter Zuhilfenahme z.B. der Jugendschutzgesetze oder der Straßenverkehrsordnung lassen sich – wie für Alkohol und Tabak – bestimmte Einschränkungen des Konsums (nach Alter, im Straßenverkehr etc.) definieren.
(4) Es lassen sich Drogen-Steuern erheben, die z.B. zweckgebunden in ein Drogenhilfesystem zurückfließen könnten.
(5) Vermarktungsorientierte Werbung kann verboten werden bei gleichzeitiger Zulassung von Aufklärungsmaterial.
(6) Den Drogenherstellern kann auferlegt werden, die Drogenverpackungen mit speziellen Gebrauchsanweisungen, mechanischen Sicherheitsvorkehrungen (Kindersicherung) oder auch mit Warnhinweisen (etwa nach dem Vorbild von Zigarettenpackungen) zu versehen.
(7) Die Lebensmittelüberwachung und andere Institutionen des Verbraucherschutzes übernehmen die Qualitätsüberwachung und -sicherung der hergestellten Drogen.
(8) Die übliche Produkthaftung tritt für Schäden ein, die durch fehlerhaft hergestellte Produkte entstehen.
(9) Alle sonstigen Schädigungen der Konsumenten werden, wie bei den Konsumenten von Alkohol und Tabak, über die Krankenkassen abgerechnet.
Die skizzierten Anworten zeigen, dass es bei einer Legalisierung von Cannabis keineswegs darum geht, auf jeglich Form der Regulation zu verzichten, sondern vielmehr darum, die strafrechlichen Kontrollinstrumente durch andere und – wie ich denke – effektivere Regularien zu ersetzen. Die Vorteile einer solchen Handhabung des (jetzt noch illegalen) Cannabis sind folgende: a) Man erhält – im Gegensatz zur heutigen Situation – eine weitestgehende (Qualitäts-) Kontrolle über die verkauften Substanzen. b) Man erhält – was in der Illegalität erfahrungsgemäß unmöglich ist – eine umfassende Kontrolle über die Hersteller, Vertreiber und Händler von Cannabisprodukten sowie in gewissem Maße auch über den Preis der Substanzen. c) Man sichert die Autonomie der Konsumenten sowohl in Hinblick auf ihre Konsumentscheidung, als auch in Hinblick auf die Entscheidung einer vom Konsumenten für sinnvoll erachteten Beratung, Behandlung oder Therapie durch eine Hilfsinstitution. d) Die Gesellschaft als ganze profitiert von der erfolgten Legalisierung in Form von Einsparungen im Strafverfolgungs- und Strafvollstreckungsbereich.
Und schließlich würde eine Legalisierung von Cannabis möglicherweise dem Staat selbst nützen, weil sie zu einer Erhöhung der Glaubwürdigkeit staatlicher Drogenpolitik führt. Dies wiederum ist freilich nicht nur ein positiver Effekt, denn er könnte im Umkehrschluss bedeuten, dass die Politik hinsichtlich anderer illegaler, vermeintlich „harter“ Drogen so fortgeführt wird wie bisher – mit allen den durch das Verbot produzierten negativen Folgen, die mittlerweile ja hinlänglich bekannt sind. Deshalb kann legales Cannabis nur der erste Schritt auf dem Weg zu einer Drogenpolitik sein, die das Recht auf Genuss wie das Recht auf Rausch grundsätzlich jedem zugesteht, unabhängig davon, welche Substanzen er zur Befriedigung dieser Bedürfnisse einsetzt.

Korrespondenzadresse:
Dr. Henning Schmidt-Semisch
BISDRO
Helmstätter Str. 8
28215 Bremen